Pflichtteilsanspruch

Das deutsche Erbrecht schützt einen kleinen Personenkreis – die sogenannten Pflichtteilsberechtigten – vor dem “Enterben”. Ist dieser Fall eingetreten, haben sie einen Pflichtteilsanspruch. Wir erläutern, was es dabei zu beachten gilt und zeigen, wie der Anspruch ermittelt und durchgesetzt wird.

Inhaltsverzeichnis

Pflichtteilsanspruch: Was bedeutet das?

Der Pflichtteilsanspruch stellt das Recht dar, von den Erben den Pflichtteil zu verlangen. Dieser entspricht der Hälfte des gesetzlichen Erbteils, also der Erbquote, welche die Person bei gesetzlicher Erbfolge hätte. 

Nach deutschem Erbrecht gilt zur Berechnung der Erbquote nach § 2310 BGB, dass alle Abkömmlinge sowie Eltern und Ehegatten des Erblassers berücksichtigt werden müssen, auch wenn sie etwa enterbt wurden, die Erbschaft ausgeschlagen haben oder dem Gesetz nach als „erbunwürdig“ eingestuft werden. Gemäß § 2310 Satz 2 BGB bzw. § 2346 Absatz 1 Satz 2 BGB bleiben Verwandte, die auf ihr Erbe bereits zu Lebzeiten des Erblassers verzichtet haben, außen vor.

Tipp: Weitere Informationen zum Thema finden Sie in unseren Beiträgen rund um die gesetzliche Erbfolge.

Wer kann den Pflichtteilsanspruch geltend machen?

Den Pflichtteilsanspruch können ausschließlich Pflichtteilsberechtigte einfordern. Dazu gehören gemäß §§ 2303, 2309 BGB folgende Personen:

  • Ehegatte des Erblassers
  • Eingetragener Lebenspartner des Erblassers
  • Eltern des Erblassers, sofern dieser kinderlos stirbt
  • Kinder des Erblassers (leibliche und adoptierte)
  • Enkel und Urenkel des Erblassers, falls deren Eltern verstorben sind.

Geschwister und Großeltern sowie Stiefkinder und nichteheliche Lebenspartner gehören hingegen nicht zum Kreis der Pflichtteilsberechtigten. Einen Pflichtteil durchsetzen kann man allerdings nur, wenn die Verjährungsfrist noch nicht abgelaufen ist. Ein Anspruch auf den Pflichtteil verjährt drei Jahre nach Kenntnis des Erbfalls.

Haben Pflichtteilsberechtigte immer einen Anspruch auf Pflichtteil?

Wer einen Pflichtteilsanspruch hat, ist immer auch pflichtteilsberechtigt. Umgekehrt gilt dies jedoch nicht. So kann etwa ein Pflichtteilsberechtigter im Testament als Erbe eingesetzt sein – in der Regel mit der Folge, dass sein Pflichtteilsanspruch schon durch den Erbteil “abgedeckt” ist.

Wann besteht kein Anspruch auf Pflichtteil?

§ 2333 BGB sieht vor, dass Erblasser Angehörigen in besonders schweren Fällen den Pflichtteil entziehen können. Wirksam wird dies jedoch nur, wenn sie dies auch im Testament erwähnen und begründen. Möglich ist dies, wenn es dem Erblasser nicht zuzumuten ist, dem Betreffenden den Pflichtteil auszuzahlen. Also, wenn der Pflichtteilsberechtigte...

  • ...dem Erblasser, dem Ehegatten des Erblassers, einem anderen Abkömmling oder einer dem Erblasser ähnlich nahe stehenden Person nach dem Leben trachtet oder
  • ...sich eines Verbrechens oder schweren vorsätzlichen Vergehens gegenüber dem Erblasser schuldig gemacht hat oder
  • ...zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung verurteilt wurde aufgrund einer vorsätzlichen Straftat, die gegen den Erblasser oder eine der oben genannten Personen gerichtet war. Gleiches gilt bei der Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik aus diesem Grund. Oder er 
  • ...die gesetzliche Unterhaltspflicht gegenüber dem Erblasser böswillig verletzt hat.

In diesen Fällen ist es einem Erblasser nicht zuzumuten, dem Betreffenden den Pflichtteil hinterlassen zu müssen.

Kann das Erbe ausgeschlagen und trotzdem ein Pflichtteilsanspruch geltend gemacht werden?

In einigen Fällen erlaubt das deutsche Erbrecht, dass Angehörige ihr Erbe ausschlagen und trotzdem einen Pflichtteilsanspruch geltend machen können. Die Geltendmachung des "kleinen Pflichtteils" gemäß § 1371 Absatz 3 BGB und bei Beschränkungen und Beschwerungen gemäß § 2306 Absatz 1 BGB:

  • Wurde die Ehe als Zugewinngemeinschaft geführt, hat der verwitwete Ehegatte laut § 1371 Absatz 3 BGB die Möglichkeit, das Erbe auszuschlagen und den sogenannten kleinen Pflichtteil einzufordern. Ob diese Option besser ist, hängt davon ab, wie hoch der Zugewinn ist und ob der Erblasser ein hohes Vermögen mit in die Ehe gebracht hat.
  • Pflichtteilsberechtigte, deren Erbteil durch einen Testamentsvollstrecker, ein Vermächtnis oder eine Auflage beschränkt ist, können gemäß § 2306 Absatz 1 BGB ebenfalls das Erbe ausschlagen und stattdessen den Pflichtteil verlangen. Das wäre beispielsweise möglich, wenn eine mit einem Wohnungsrecht oder Nießbrauch belastete Immobilie zum Erbteil gehört. Gleiches gilt für Vermächtnisnehmer.

Gut zu wissen: Ist der Erbteil eines Erben geringer als sein Pflichtteil, kann er gemäß § 2305 Satz 1 BGB gegenüber der Erbengemeinschaft beziehungsweise dem Alleinerben einen Pflichtteilsrestanspruch auf den Zusatzpflichtteil in Höhe der Differenz zwischen Erbteil und Pflichtteil geltend machen. 

Pflichtteilsanspruch – was gehört dazu?

Um den Wert des Pflichtteils beziffern zu können, haben Pflichtteilsberechtigte gemäß § 2314 Absatz 1 Satz 1 BGB gegenüber den Erben einen Anspruch auf Auskunft über den Nachlass und können ein Nachlassverzeichnis anfordern. 

Wie wird die Pflichtteilsquote berechnet?

In welchem prozentualen Umfang Pflichtteilsberechtigte am Nachlass beteiligt werden, gibt die Pflichtteilsquote in Höhe der Hälfte des gesetzlichen Erbteils vor, § 2303 Absatz 1 Satz 2 BGB. Zunächst muss daher die Erbquote ermittelt werden, die der Gesetzgeber für den Fall ohne Testament – also im Rahmen der gesetzlichen Erbfolge – vorgesehen hat. Dabei richtet sich die Höhe der Quote nach Verwandtschaftsgrad, Anzahl vorhandener Kinder und bei Verheirateten nach dem Güterstand der Ehe.

Ein Beispiel: Ein Ehegatte und Vater eines Kindes stirbt und hat im Testament kein Erbe für sein Kind vorgesehen. Für die Ehe wurde der Güterstand der Zugewinngemeinschaft gewählt. Die Ehefrau erbt damit die Hälfte, der gesetzliche Erbteil des Kindes wäre die andere Hälfte. Dann beläuft sich die Pflichtteilsquote des Kindes auf ein Viertel.

Tipp: Weitere Informationen zur Höhe des Pflichtteils bei Kindern finden Sie im entsprechenden Beitrag „Pflichtteil Kinder“. 

Was hat es mit dem Pflichtteilsergänzungsanspruch auf sich?

Pflichtteilsberechtigten steht die Hälfte des gesetzlichen Erbteils zu. In besonderen Fällen sieht das deutsche Erbrecht jedoch den in § 2325 Absatz 1 BGB genannten Pflichtteilsergänzungsanspruch vor. Damit soll verhindert werden, dass Erblasser vor ihrem Tod bewusst Vermögen im Rahmen von Schenkungen übertragen, um den Pflichtteilsanspruch unliebsamer Verwandter auszuhöhlen.

Inwiefern solche Schenkungen berücksichtigt werden, hängt davon ab, wann sie erfolgten. Hat der Erblasser innerhalb eines Jahres vor seinem Tod eine Schenkung vorgenommen, wird sie noch zu 100 Prozent berücksichtigt, § 2325 Absatz 3 Satz 1 BGB. Mit jedem weiteren Jahr, das zwischen Schenkung und Tod liegt, reduziert sich die Anrechnungsquote um zehn Prozentpunkte. Die Folge: Wurden beispielsweise 100.000 Euro mittels Schenkung übertragen, wären bei Schenkung im sechsten Jahr vor dem Erbfall nur noch 50.000 Euro anzurechnen. Die 10-Jahres-Frist beginnt bei Ehegatten erst mit Scheidung oder Tod eines der beiden Partner.

Wichtig: Dieser Anspruch muss immer gegenüber demjenigen geltend gemacht werden, der eine für den Pflichtteilsanspruch relevante Schenkung erhalten hat. 

Zudem sind Schenkungen des Erblassers auch an den Pflichtteilsberechtigten gemäß § 2327 Absatz 1 Satz 1 BGB anzurechnen.

Wie macht man den Pflichtteilsanspruch geltend?

Besteht ein Pflichtteilsanspruch, müssen Pflichtteilsberechtigte handeln, denn sie erhalten ihren Pflichtteil nicht “automatisch”. Um den Anspruch geltend zu machen, müssen Pflichtteilsberechtigte sich schriftlich unter Angabe der Höhe des Pflichtteils, ihrer Bankverbindung und einer Zahlungsfrist an die Erben wenden. Kommen jene der Zahlungsaufforderung nicht nach, bleibt ihnen der Weg über die Pflichtteilsklage.

Sie können Ihren Pflichtteil auch verkaufen und so ohne Streit und Kosten zügig zu liquidem Vermögen kommen.

Wann ist ein Anwalt erforderlich?

Ist keine Einigung über die Auszahlung des Pflichtteils möglich, sollte ein Anwalt eingeschaltet werden. Das gilt auch dann, wenn die Erben keine Auskünfte zum Nachlass erteilen, obwohl sie per Gesetz dazu verpflichtet sind – oder wenn Anlass zu der Vermutung besteht, dass das Nachlassverzeichnis nicht vollständig ist.

Tipp: Weitere Infos rund um die Aufstellung der Nachlassgegenstände finden Sie in unserem Beitrag „Nachlassverzeichnis“.

Ein Fachanwalt für Erbrecht empfiehlt sich gegebenenfalls auch, um zu überprüfen, ob die Enterbung unrechtmäßig war. Das trifft unter anderem zu, wenn...

  • ... Irrtum oder Drohung vorlagen
  • … das Testament gegen geltendes Recht verstößt
  • ... das Testament nicht rechtswirksam ist
  • ... der Erblasser nicht testierfähig war

Pflichtteilsanspruch – wer zahlt?

Gibt es mehr als einen Erben, kann der Pflichtteilsanspruch gegenüber einem Miterben der Erbengemeinschaft geltend gemacht werden, da die Erbengemeinschaft als Gesamtschuldner haftet. Anders beim Pflichtteilsergänzungsanspruch: Dieser muss bei demjenigen eingefordert werden, der die betreffende Schenkung vom Erblasser erhalten hat. 

Kann der Pflichtteilsanspruch auch zu Lebzeiten des Erblassers geltend gemacht werden?

Der Anspruch auf den Pflichtteil entsteht erst mit dem Tod des Erblassers. Pflichtteilsberechtigte können daher lediglich im Rahmen von Verhandlungen mit dem künftigen Erblasser versuchen, einen Pflichtteilsverzicht gegen Zahlung einer Abfindung zu vereinbaren. Denkbar wäre auch eine Schenkung im Zuge der vorweggenommenen Erbfolge. Beides ist jedoch nicht einklagbar und vom Verhandlungsgeschick abhängig.

Wie lange ist der Pflichtteilsanspruch gültig?

Der Pflichtteil kann gemäß §§ 195, 199 Absatz 1 Nummer 1 BGB lediglich innerhalb einer Frist von drei Jahren nach Kenntnis des Todesfalls eingefordert werden. 

Ein Beispiel: Angenommen, ein Erblasser stirbt am 1. Oktober 2019. Dann endet die Frist bis zur Verjährung am 31. Dezember 2022. Erfährt jemand, der seinen Pflichtteil geltend machen will, erst im Frühjahr 2020 vom Tod des Erblassers, verlängert sich die Frist bis Ende 2020 um 12 Monate und endet am 31. Dezember 2023. Allerdings hat der Gesetzgeber eine weitere Frist vorgesehen: Erfährt ein Pflichtteilsberechtigter mehr als 30 Jahre nach dem Tod des Erblassers von seinem Pflichtteilsanspruch, kann er diesen nicht mehr geltend machen.

Eine Besonderheit gilt zudem für minderjährige Anspruchsberechtigte: Für sie verlängert sich die Verjährungsfrist gemäß § 207 Absatz 1 Nr. 2 BGB bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres.

Wichtig: Beim Pflichtteilsergänzungsanspruch gilt die Frist immer ab Datum des Erbfalls – auch dann, wenn jemand erst später von seinem Anspruch erfährt. 

Sollte der Pflichtteilsanspruch immer geltend gemacht werden?

Es gibt durchaus Fälle, in denen Pflichtteilsberechtigte auf das Durchsetzen ihres Pflichtteilsanspruchs verzichten sollten. So entscheiden sich Ehepaare häufig für ein Berliner Testament mit Pflichtteilsstrafklauseln. Diese sehen vor, dass Kinder, die ihren Pflichtteil nach dem Tod des erstversterbenden Elternteils einfordern, auch beim Tod des letztversterbenden Elternteils enterbt werden. Da sich ihr Anspruch auf den Nachlass damit deutlich reduziert, ist es meistens für sie nachteilig, ihren Pflichtteil einzufordern.

Tipp: Weitere Informationen zu dieser Form des Ehegattentestaments finden Sie in unserem Beitrag „Berliner Testament“. 

Fazit

Oft ist es nicht einfach und dauert zudem lange, einen Pflichtteilsanspruch einzufordern. 

Wenn Sie Ihren Pflichtteilsanspruch nicht selbst einklagen wollen, können Sie diesen auch verkaufen – wir helfen Ihnen dabei.

Das Deutsche Erbenzentrum führt keine Rechtsberatung durch. Gerne helfen wir Ihnen aber bei der Suche nach einem Rechtsanwalt.

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